Wir leben in einer Welt voller Informationen, die uns auf Displays aller Art präsentiert werden. Immer wieder unterliegen wir dabei der Täuschung, diese Informationen für die Realität zu halten, oder besser: für eine wahrheitsgetreue Visualisierung der ihnen zu Grunde liegenden Daten, von denen wir wiederum annehmen, sie wären eine präzise und korrekte Repräsentation der untersuchten oder gemessenen Phänomene der Welt.
Mentaler Sicherheitshinweis: Es wird gleich noch schlimmer. Ich bin irgendwie so philosophisch drauf heute. 😉
„Es steht ja so da, also muss es so sein.“ Dies ist die große Falle, in die wir regelmäßig tappen, wenn wir Informationen aufnehmen, denn so ticken wir einfach. Irgendetwas in unserem Geist ist so schlicht gestrickt, dass es förmlich danach giert, alles für wahr zu halten, was die Sinne ihm anliefern. Es bedarf konstanter mentaler Anstrengung, die eigene Wahrnehmung mit etwas innerem Abstand arbeiten zu lassen, damit wir ein bisschen Zeit gewinnen, um das, was wir wahrnehmen – was uns präsentiert wird – zu interpretieren.
Denn wir sehen immer nur die äußere Schale einer Zwiebel, die äußere Schicht eines Phänomens oder Vorgangs. Und wenn da was auf einem Display steht, glauben wir es zunächst mal. Dieser Glaube sollte spätestens seit Bekanntwerden des VW-Abgasbetrugs nachhaltig erschüttert sein. Ein Display zeigt nur an, was es anzeigen soll. Mit Realität kann das zu tun haben, muss aber nicht.
Schauen wir mal am (harmlosen) Beispiel des Ladestandes der ZOE, wie die Realität dahinter beschaffen ist.
Der Ladestand (SOC) als Zwiebel
Wenn die ZOE lädt, zeigt sie uns im Display den aktuellen Ladestand (SOC = State Of Charge) als visualisierten „Füllstand“ einer Rundzelle (links) und in Prozent (rechts):
Das ist anschaulich, aber falsch. Weder ist der Akku ein Gefäß, das mit einer Substanz befüllt wird, noch stimmt die Prozentanzeige.
Beim Laden und Entladen finden im Akku komplexe elektrochemische Prozesse statt, die als messbaren Effekt die Zellspannung erhöhen bzw. verringern. Ein Akku ist „voll“, wenn die Zellspannung ein bestimmtes Maximum, und „leer“, wenn sie ein bestimmtes Minimum erreicht hat. Da wird nichts befüllt oder entleert.
Als Repräsentation des Ladestandes wäre daher eine Anzeige der Zellspannung technisch präziser. Aber das ist halt etwas sperrig. Den angezeigten Zahlenwert müssten wir erst interpretieren, das ist unserem Geist zu anstrengend. Und da wir hier keine superexakten Informationen über den Ladestand benötigen, sondern nur eine grobe Übersicht, tut es eine uns viel vertrautere Visualisierung, die auf einer Mengendarstellung basiert, auch. Sie erfüllt ihren Zweck an dieser Stelle sogar besser. Wir hantieren mit Gefäßen und darin befindlichen Flüssigkeiten seit tausenden von Jahren. Ein Blick, und wir wissen ungefähr, wieviel noch drin ist. Mit der Realität des Akku-Ladestandes hat das aber nur sehr indirekt zu tun. Das ist die erste Zwiebelschale. Gehen wir eine Schicht tiefer.
Prozente, Prozente
Daten und Werte können auf verschiedene Weise dargestellt und visualisiert werden. Die mehr oder weniger gefüllte Rundzelle im ZOE-Display stellt das sichtbare Endprodukt einer komplexen Mess- und Berechnungskette dar. Am Ende dieser Kette wird der aktuelle Ladezustand im Verhältnis zum möglichen Maximum („voll“) und Minimum („leer“) als Prozentwert ermittelt und als figürliche Darstellung ausgegeben.
Woher kommt aber der Prozentwert?
Ein Prozentwert ist immer relativ. Er kann nur sinnvoll interpretiert werden, wenn klar ist, worauf er sich bezieht. Erst einmal muss also definiert werden, was in diesem Fall Maximum und Minimum für Werte besitzen. Welche Zellspannung entspricht 100%, welche 0%? Sind das konstante Werte oder ändern sie sich je nach bestimmten Rahmenbedingungen wie z. B. Temperatur oder Alter? Und ist die Zellspannung der einzige Wert, der in die Berechnung des prozentualen Ladestandes einfließt? Darüber erfahren wir als ZOE-Besitzer nichts. Jedenfalls nicht aus den Displayanzeigen.
Müssen wir im Normalfall ja auch nicht unbedingt wissen.
Aber wer kennt sie nicht, die Phänomene, die bei Nerds das Verlangen nach Erklärung wecken? Wieso dauert das Laden von 99% auf 100% so viel länger als das Laden von beispielsweise 80% auf 90%?
Ganz einfach: Die im ZOE-Display angezeigten 99% sind gar keine 99%. Angezeigt werden 99%, um uns bei Laune zu halten. Der Akku ist derweil noch längst nicht zu 99% geladen, und weil die Ladeleistung gegen Ende stark reduziert wird, dauert es halt. Ein Algorithmus, von Programmierern erdacht und umgesetzt, bestimmt, aus welchen Messwerten des realen Akkuzustands welche Anzeigewerte berechnet und ausgegeben werden.
Kontextinfo: Wir wissen, dass das Batteriemanagementsystem (BMS) der ZOE nicht die gesamte Kapazität des Fahr-Akkus zur Benutzung frei gibt. „Oben“ und „unten“ gibt es Sicherheitsbereiche, die ein Überladen bzw. eine Tiefentladung verhindern und somit die Lebensdauer des Akkus verlängern sollen. Wenn ZOE 100% anzeigt, ist der Akku also nicht wirklich zu 100% geladen, sondern nur zu 100-x%, und wenn sie 0% anzeigen würde, wäre der Akku noch nicht wirklich „leer“.
Kommen wir noch eine Schicht tiefer? Yes. Aber nicht mit Bordmitteln.
OBD und CanZE
Moderne Autos haben ein On-Board-Diagnose-System (OBD), das alle möglichen Fahrzeugwerte und -parameter ausgeben kann. Über eine standardisierte Buchse zum CAN-Bus können Diagnosegeräte angeschlossen werden; mit Adaptern auch Computer und sogar Handys. Mit einer entsprechenden App kann man dann diverse Informationen abrufen und anzeigen. Diese sind viel detaillierter als die Infos, die man normalerweise in den Fahrzeugdisplays zu sehen bekommt. Logisch, ist ja auch für Fachleute gedacht.
Aus diesem Grund können eigentlich nur die Geräte der Fahrzeughersteller die Informationen aus dem OBD-System auslesen und interpretieren. Welche Daten da was bedeuten wird natürlich nicht offengelegt.
Nun haben sich einige begabte Programmierer, selbst begeisterte ZOE-Fahrer, mit unglaublichem Fleiß und enormer Ausdauer daran gemacht, die Informationen, die die OBD-Schnittstelle in Renaults Z.E.-Fahrzeugen ausgibt, zu analysieren. Reverse engineering, wenn man so will.
Herausgekommen ist die App CanZE, mit der man u. a. in der ZOE eine weitere Zwiebel-Informationsschicht erschließen kann. Was sagt das OBD beispielsweise zur aktuellen Ladeleistung, zum Ladestand, zur Zellspannung, zur Akku-Temperatur?
Die CanZE-App gibt es für Android und iOS und man kann sie über die entsprechenden Stores herunterladen und installieren. Bei mir läuft sie unter Android 5.1.1 auf einem Sony Xperia M2.
OBD-Adapter
Damit die App CanZE Verbindung mit dem OBD aufnehmen kann, benötigt man einen Adapter, der an die OBD-Buchse im Fahrzeug angesteckt wird und der per Bluetooth (oder WiFi) mit Handys oder Tablets kommunizieren kann.
Das CanZE-Team empfiehlt für die Android-App einen MaxiScan KW902 (ELM327), und so einen habe ich mir auch besorgt.
Kostet auf einschlägigen Aktionsplattformen rund 17,- €, auf einem bekannten Online-Marktplatz ca. 55,- €. (Achtung: 5,- €-Billigadapter funktionieren nicht!)
CanZE unter iOS benötigt einen OBD-Adapter mit WiFi-Fähigkeiten, z. B. den Vgate iCar 2 (ca. 20,- €).
Anschluss
Der OBD-Anschluss verbirgt sich in der ZOE in der Ablage unterhalb der Anschlüsse für die SD-Card und USB. Der Boden lässt sich mit einem spitzen Gegenstand leicht herausheben.
Der MaxiScan wird aufgesteckt (geht in der ZOE nur „falsch“ herum – die Beschriftung steht dann Kopf) und per Knopfdruck eingeschaltet.
Im Handy Bluetooth aktivieren und mit dem MaxiScan verbinden. Bei mir identifiziert sich das Gerät als „MaxiScan OBDII“. Beim Pairing muss man „1234“ eingeben.
Dann die App CanZE starten und – ganz wichtig – im Menü „Einstellungen“ (Schraubenschlüssel-Symbol) unter „Verbindung“ den MaxiScan auswählen.
Als Gerätetyp ggf. ELM327 und als Fahrzeug das richtige auswählen.
Dann die Änderungen speichern (grüner Haken) und danach sollte CanZE Verbindung mit dem Adapter herstellen können.
CanZE-Funktionen und Informationen
CanZE bietet zahlreiche Funktionen, die in drei Screens abgerufen werden können:
Ladestand nach CanZE
Ich lade an meiner mobilen Ladebox EVR3. Diese ist an eine CEE32-Dose angeschlossen und auf 13,8kW eingestellt.
Schauen wir uns an, was CanZE bzw. das OBD zum Ladestand zu sagen hat, wenn ZOE im Display 99% anzeigt (Hauptmenü, Button „Laden“):
Oben links: Offenbar signalisiert die EVR3 der ZOE nur 11,4kW mögliche Ladeleistung. (Das ist eine andere Zwiebelschale und bedarf einer gesonderten Interpretation…)
Oben rechts unter „Max. Batterie Ladung“ sehen wir den Wert, den das BMS der ZOE dem internen Umrichter („Lader“) als maximale Akzeptanz in diesem Moment vorgibt. Das sind gegen Ende der Ladung nur noch 2,1kW; die Ladeleistung ist also stark heruntergeregelt.
In der Mitte wird die gerade im Akku ankommende Gleichstromleistung (Energiemessung am Netzeingang) angezeigt. Die deckt sich meist mit der Max-Vorgabe des BMS.
„Verfügbare Reichweite“: Hier kann man schon während der Ladung sehen, wie weit die ZOE glaubt, mit dem aktuellen Ladestand fahren zu können. Im ZOE-Display erscheint diese Angabe erst beim Türöffnen nach Ladeende. (Nicht abschrecken lassen von den „nur“ 122km – es ist Winter, wir haben 5°C Außentemperatur und der Akku ist gerade mal 10°C warm. Da ist das schon ein guter Wert.)
Darunter wird es nochmal sehr interessant. „Nutzbarer Ladestatus“ ist das, was die ZOE auch im Display als SOC anzeigt (dort ganzzahlig gerundet). „Echter Ladestatus“ ist der Ladestatus, den das BMS intern ermittelt und als Grundlage für die Berechnung der max. zu akzeptierenden Ladeleistung heranzieht. (Ob dieser Ladestatus schon „echt“ ist, wissen wir nicht. Das ist eine weitere Zwiebelschale. Tiefer kommen wir jedoch mit CanZE nicht – die App kann nur anzeigen, was das OBD ausgibt.)
Wir sehen hier, dass, wenn die ZOE 99% anzeigt, sie auf der nächsttieferen Zwiebelschale erst bei rund 95% ist. Da geht also noch was, und deshalb dauert das Laden dann noch einige Zeit. Lohnt sich aber nur zu warten, wenn man wirklich knapp kalkuliert und die paar zusätzlichen km auf dem nächsten Streckenabschnitt noch benötigt.
Über den Laden-Button im Screen „Technische Informationen“ bekommen wir noch einige zusätzliche Angaben:
(Diesen Screenshot habe ich etwas später gemacht als den vorigen, daher sind die Werte „Nutzbarer Ladestatus“, „Echter Ladestatus“ und „Gleichstromleistung“ schon wieder etwas anders als oben.)
Interessant sind hier u. a. „Verfügbare Energie kWh“ und „Energie bis voll geladen (kWh)“. Die Summe dieser beiden Werte ergibt theoretisch die nutzbare Akku-Kapazität. Allerdings weiß ich nicht, wie verlässlich das ist, denn im Laufe einer Ladung steigert sich diese Summe. Auch hier gilt wieder: CanZE kann nur das anzeigen, was das OBD an Werten liefert. Wie diese Werte im OBD errechnet werden, wissen wir nicht. Da ist nochmal Raum für viele Zwiebelschalen. Dass die Software-Algorithmen, die daran beteiligt sind, auch falsche Werte liefern können, insbesondere was die Batteriegesundheit und den daraus errechneten Nutzungsbereich des Akkus betrifft, erleben wir gerade bei etlichen ZOEs der ersten Produktionsjahre. Ich werde darauf in einem späteren Artikel gesondert eingehen (Stichwort BMS-Update).
Ladegrafiken
CanZE erstellt auch Diagramme zum Ladeverlauf. Über den Button „Ladegrafiken“ im Tech-Info-Screen kann man sie aufrufen und z. B. eine komplette Ladung im Zeitverlauf verfolgen. Ich hatte nicht so viel Zeit und habe hier nur den Beginn meiner letzten Ladung aufgezeichnet:
Im Laufe dieser Ladung habe ich die Ladeleistung an meiner EVR3 von 11kW (8kW ankommend) auf 13,8kW (11kW ankommend) erhöht. Sieht man an dem Sprung in der Leistungskurve. Immerhin lädt die ZOE bei nur 4°C Akkutemperatur mit 11kW. Höher bin ich nicht gegangen. Wäre noch interessant gewesen, zu sehen, ab welcher Leistung sie dann abregelt.
(Die EVR3 hat offenbar ihre eigene Zwiebelschalenstruktur. Was man da einstellt, kommt halt auch nicht unbedingt raus.)
Heatmap
Die Akkutemperatur zu kennen ist gut, um abzuschätzen, ob man an einer Schnellladesäule überhaupt schnell laden kann. Mit ausgekühltem Akku an eine 43kW-Ladesäule zu fahren, bringt nix. ZOE wird diese Ladeleistung dann nicht annähernd abrufen.
CanZE kann eine Heatmap anzeigen, die einen groben Überblick über die Temperaturverteilung im Akku ermöglicht:
Das war schon gegen Ende der Ladung. In deren Verlauf stieg die Akkutemperatur von 4°C auf 10°C.
Nettes Nerd-Spielzeug
Na, neugierg geworden? CanZE kann noch viel mehr, aber ich spare mir hier weitere Ausführungen und überlasse es der individuellen Wissbegier meiner Leser/innen, selbst damit weiterzuexperimentieren.
Fazit:
Trau keiner Display-Anzeige, die du nicht selbst programmiert hast. 😉