Wie ich das erste Mal nach über 4 Jahren elektrischen Fahrens wegen einer Reifenpanne die Renault Assistance bemühen musste.
Hatte ich nicht neulich erst geschrieben, es gäbe mit Elektroautos keine Abenteuer mehr zu erleben? Ich habe mich geirrt.
Hannover – Hamburg
Ende Mai habe ich einen Termin in Hamburg. (Nebenbei: Die A7 zwischen Hannover und Hamburg ist derzeit ein einziges Grauen, in beiden Richtungen. Nicht zu empfehlen.) Es sind rund 180km und ich muss auf der Strecke ein Mal kurz zwischenladen, denn auch die nach viereinhalb Jahren immer noch verfügbare Sommerreichweite von 160km reicht nicht ganz hin.
Erfreut stelle ich fest, dass am Triplelader auf der Raststätte Seevetal Ost der AC-Anschluss nicht mehr auf müde 22kW gedrosselt ist. Am Steckplatz und im Display sind wieder 43kW angegeben; per CanZE habe ich immerhin 34,2kW mögliche Ladeleistung ermittelt (Gleichstromleistung: 30,5kW). 10kW weniger als theoretisch möglich, aber immerhin geht das Laden doch deutlich schneller als mit 22kW. Ich lade nur kurz, denn bis HH ist es nur noch ein Katzensprung, und dank der vorbildlichen Ladeinfrastruktur in Hamburg kann ich bequem während meines Termins vollladen, nur eine Querstraße entfernt. Aber auch das nur nebenbei.
Die Panne
Nach erledigtem Termin stöpsele ich die vollgeladene ZOE ab und will nun wieder möglichst schnell nach Hause. Es ist inzwischen später Nachmittag, brüllheiß, und mein Navi will mich während der Rush-Hour gleich mehrmals in falscher Richtung in Einbahnstraßen lotsen. Das ist irgend so ein Hamburg-Ding: Morgens gehen die in die eine und abends in die andere Richtung. Damit ist das Navi überfordert und ich als Ortsunkundiger bin genervt.
Ich fahre also weiter, bis eine Querstraße kommt, in die ich links einbiegen darf. Sie mündet direkt in einer Rechtskurve ein und ich sehe es eine Sekunde zu spät und fahre ein paar Meter zu weit, so dass ich kurz zurücksetzen muss, um abbiegen zu können. Hinter mir ist gerade frei. Von vorn nähert sich ein PKW, aber es ist genug Platz und Zeit, noch vor diesem abzubiegen. Trotzdem beschleunige ich ein wenig beherzter als üblich und nehme die Abbiegung mit etwas „Schmackes“.
Ich verschätze mich nur um höchstens 2cm. Da ist diese Bordsteinkante. Mein rechter Vorderreifen schafft es nicht ganz und bekommt in spitzem Winkel Kontakt. Pfffffff…
Na toll.
Glück im Unglück: Direkt nach der Einmündung ist eine Parklücke frei. Ich steige aus und begucke mir das Malheur:
Da ist mit dem Pannenset nix mehr zu reißen, das Loch in der Reifenflanke ist zu groß. Ein Abschlepper muss her. Zeit, mal die Renault Assistance abzuchecken.
Hotline die Erste
Ich habe die Nummer gespeichert, aber Renault hat sie inzwischen geändert. Nun werde ich nicht etwa weitergeleitet, sondern bekomme die neue Nummer angesagt. Wie analog ist das denn. Immerhin hat sich nur eine Ziffer geändert. Die kann ich mir gerade so merken. Ich ändere den Eintrag, rufe die neue Nummer an und relativ zügig meldet sich eine nette Dame, die verspricht, alles Nötige zu veranlassen. Ungefähr 10 Minuten später bekomme ich eine SMS, dass ein Abschleppunternehmen beauftragt sei, es aber bis zu 3 Stunden dauern könne, in Hamburg sei gerade viel los. Oh my.
Warten
Drei Stunden bei über 30°C warten?! Ich könnte die Klimaanlage laufen lassen. Begnüge mich dann aber damit, die Scheiben herunterzulassen. Esse meinen für die Ladepause auf dem Rückweg vorgesehenen Proviant. Habe zum Glück genug Wasser dabei. Höre genial verjazzte alte King Crimson Stücke vom Crimson Jazz Trio. Döse vor mich hin. Beobachte Leute. Hohe Premium-Fahrzeugdichte in Hamburg. Könnten sich alle locker ein Elektroauto der Oberklasse leisten. Warum tun sie es nicht?
Abgeschleppt
Anderthalb Stunden später ruft mich der Abschlepper an, er sei auf dem Weg. 20 Minuten später ist er da. ZOE kommt huckepack und wir fahren zur nächstgelegenen Renault Z.E. Werkstatt in Nedderfeld. Der Abschleppwagenfahrer versucht während der Fahrt schonmal die Renault-Hotline anzurufen, um einen Mietwagen für mich zu organisieren, denn um diese Zeit ist die Werkstatt natürlich längst dicht.
Hotline die Zweite
Das Handy des Abschleppwagenfahrers hängt immer noch in der Assistance-Warteschleife, als meine ZOE längst vor der Werkstatt abgesetzt ist. Ein Kollege in seiner Firma und ich versuchen es parallel. Ich habe die Mietwagenidee inzwischen verworfen. Heute zurück nach Hannover, A7 ist ab 20 Uhr wg. Bauarbeiten gesperrt, morgen wieder nach Hamburg, dann wieder zurück nach Hannover? Ist mir zu anstrengend. Ich bleibe besser in Hamburg und benötige nun eine Übernachtung. Hallo hallo, Assistance… jemand zu Hause?
Als wir aufgeben, haben wir gut und gern eine Stunde Warteschleifenmusik und charmante Ansagen mit französischem Akzent ertragen. In stereo.
Die Nacht
Ich organisiere mir eine private Übernachtungsmöglichkeit. Der Abschleppwagenfahrer setzt mich an einer Hochbahnstation ab. Er hat alles gegeben und ich bin ihm dankbar. Ich löse aus Unkenntnis ein falsches Ticket, aber zum Glück wird nicht kontrolliert.
Mein Gästebett steht in einer Wohnung im 5. Stock direkt unterm Dach. Es müssen über 40°C sein, trotz weit aufgerissener Fenster. Sacke ich doch mal einen Moment weg, dröhnt ein landender Flieger mich wieder wach. Ich will zurück in mein Dorf.
Werkstatt
Ziemlich groggy stehe ich am nächsten Morgen um 7 Uhr auf, trinke einen Kakao und mache mich auf den Weg zur Werkstatt. Bus, Bahn, nochmal Bus und den Rest gehe ich zu Fuß. Es hat sich gegen morgen doch etwas abgekühlt, aber die Geschäftsräume der Renault-Werkstatt haben davon nichts mitbekommen. Direkt nach Betreten der Räumlichkeiten bricht mir schon wieder der Schweiß aus.
Die nächste Schweißwelle überströmt mich, als mir ein junger Mitarbeiter eröffnet, der Reifen müsse bestellt werden und das würde 5 Tage dauern. Ist halt kein 08/15-Reifen. Energiespar-Superduper-Irgendwas. Standard-Bereifung bei der ZOE. Sowas hat eine Z.E. Werkstatt natürlich nicht vorrätig. Ich halte es nicht mal eine Sekunde für einen Witz. Ist auch keiner.
Und nun?
Der Mitarbeiter murmelt etwas wie „…kläre das mal…“ und verschwindet. Ich überlege derzeit. Muss am nächsten Tag für 4 Tage nach Berlin und danach brauche ich noch 2 Tage unbedingt ein Auto in Hannover. Dann wieder nach Hamburg. Zahlt Renault mir 8 Tage Mietwagen?
Der Mitarbeiter kommt zurück. „Also wir können Ihnen ein Angebot machen, haben noch einen gebrauchten Reifen da, in gutem Zustand, der ginge. Sollen wir den nehmen? Kostet 80 €.“ Ich: „Ja BITTE, tun Sie das.“ Ich bin so erleichtert! Es besteht also doch noch eine Chance, heute im eigenen Auto hier wegzukommen. Er: „Es kann aber 3 Stunden dauern, im Moment sind alle Hebebühnen belegt.“ Möp möp möööp…
Ich füge mich in mein Schicksal und gehe erstmal frühstücken. Draußen ist es eh angenehmer als hier drin.
Um keine Sekunde zu verschenken, setze ich mich nach dem Frühstück aber doch wieder in die Kunden-Sitzecke des stickigen Präsentationsraums und behalte von dort aus den für mich zuständigen Mitarbeiter hinter seinem Schreibtisch im Auge.
Nebenbei beobachte ich wieder Leute, die sich die Autos im Showroom anschauen. Alles ausnahmslos Verbrenner. Wie kann man jetzt noch einen Verbrenner neu kaufen wollen? Ich löse dieses Rätsel nicht. Buddha sagt, die wahre Ursache unseres Leidens ist Unwissenheit.
Fertig!
Kurz vor Mittag ist der neue Reifen endlich drauf. Irgendein Software-Update wurde auch eingespielt. Ich zahle 80,- € und bin froh, nun endlich hier wegzukommen. Klima an, Navi an und los.
Hamburg – Hannover
Erwähnte ich schon, dass die A7 zwischen Hamburg und Hannover gerade ein Grauen ist? Ah. Das nächste Mal nehme ich den Zug. Vielleicht… Mit der ZOE ist die Strecke halt unschlagbar billig zu fahren. Wenn man Zeit hat.
Mein Ladehalt auf dem Rückweg ist der Triple-Lader auf der Raststätte Vorm Wietzenbruch West in Soltau. Hier gibt’s den Strom noch immer kostenlos. Und wie in Seevetal Ost auf dem Hinweg wurde auch hier die Drosselung des AC-Anschlusses etwas gelockert: CanZE zeigt 34,8kW mögliche Ladeleistung an (Gleichstromleistung: 31,5kW).
Fazit
Nach relativ schnellem und angenehmem Erstkontakt (ein glücklicher Zufall?) war die Renault Assistance praktisch nicht mehr erreichbar. Wenn ich die Reifenpanne etwas später an dem Abend gehabt hätte, wäre mein Handy-Akku wahrscheinlich leer geworden, bevor ich das Ende der Warteschleife erreicht hätte. Nicht lustig.